Traditionelle Chinesische Medizin | Uralte Heilmethode, aktuell wie nie

Erfahren Sie mehr über eine Jahrtausende alte asiatische Heilmethode.

Interview mit den Expertinnen Qi Meng und Martina Reutgen aus der Zieten Apotheke.

 

„Das ist das Wichtigste: Im Fluss sein“

Frau Qi Meng ist in China aufgewachsen und hat nach dem Abitur eine dreijährige Apothekerlehre absolviert. In der Stadtklinik Nanjing hat sie neun Jahre lang als Apothekenhelferin gearbeitet. Seit Mitte der 1980er lebt sie in Deutschland und seit 2004 arbeitet sie in der Zieten Apotheke. Dort betreut sie die Abteilung für Traditionelle Chinesische Medizin.

Frau Martina Reutgen ist seit 1993 Heilpraktikerin und seit 1996 in eigener Praxis in Pankow tätig. Sie entwickelt neue Produkte für die Zieten Apotheke.

Frau Meng, wie sind Sie zur Traditionellen Chinesischen Medizin gekommen?

Qi Meng:
Ich habe mich Stück für Stück voran gearbeitet. Damals, zu Beginn meiner Ausbildung in China, arbeitete ich mit einem sehr alten Herrn zusammen. Er behandelte die Patienten, indem er Puls und Zunge betrachtete. Danach schrieb er dann die Rezepte in alter chinesischer Schreibweise, das sah sehr elegant aus, wie kalligraphiert.

Ich hatte Glück, dass ich mit diesem alten Arzt zusammenarbeiten durfte. Denn dabei lernte ich, wie man eine Teemischung zusammenstellt und wie man Pao Zhi herstellt. Als Pao Zhi bezeichnet man die Zubereitung und Weiterverarbeitung von Heilkräutern. Das verändert die pharmakologischen Eigenschaften, die Wirkrichtung, sowie die Verträglichkeit der Heilkräuter. Und alle paar Monate sind wir zusammen auf Kräutersuche gegangen, um sie kennenzulernen.

Sie haben selbst Kräuter für die TCM-Behandlung gesammelt?

Qi Meng:
Genau, damals in den Achtzigern sammelte man in China noch selbst. Das Krankenhaus hatte außerdem einen großen Garten, in dem Pfingstrosen wuchsen. Das war so schön. Jedes Jahr blühten die Päonien wieder, die Wurzeln konnten wir bis zu vier Jahre ernten.

Was genau ist Ihre Aufgabe hier in der TCM-Abteilung?

Qi Meng:
Ich übersetze chinesische Rezepte ins Deutsche. Dann mache ich Kräuterbestellung und Qualitätsprüfung. Ich bin zuständig für die Bestellungen und die Zertifikate, arbeite mit Apothekerinnen und Apothekern sowie dem Großhandel zusammen. Ich mische nicht mehr so häufig Teemischungen, aber ich stelle unsere Hausmittel her. Denn wir haben eigene TCM-Rezepturen entwickelt, die es nur bei uns gibt.

Könnten Sie bitte ein Beispiel geben? Welche TCM-Mittel haben Sie entwickelt?

Qi Meng:
Qi Meng: Zuerst unsere Kraftsuppen, die sind echt beliebt. Sie helfen sehr gut um das Immunsystem zu stärken oder nach langer Krankheit wieder zu Kräften zu kommen. Zusammen mit meiner Kollegin Frau Reutgen, die auf 25 Jahre therapeutische Erfahrung zurückgreifen kann, haben wir Rezepte konzipiert, die ich jetzt herstelle. Zum Beispiel für Heuschnupfen oder aber auch für Covid.

Wie entwickelt man ein Medikament mit Hilfe von TCM, einer 5000 Jahre alten Heilkunst, gegen eine Krankheit, die erst seit zwei Jahre bekannt ist?

Qi Meng:
Sicher, die Rezepturen sind tausende von Jahren alt. Es gibt einen sehr reichen Schatz an Mitteln, den unsere Vorfahren uns hinterlassen haben. Wir können also auf bestehende Kräutermischungen zurückgreifen. Die wirken zum Beispiel gegen bestimmte Symptome wie Schnupfen, Halsschmerzen und so weiter. Bei Corona wurden nun diese Rezepte nach den neuesten Erfahrungen bzw. Symptomen modifiziert.

Aber TCM ist nicht nur Kräutermedizin, sondern beinhaltet noch viel mehr.

Qi Meng:
Chinesische Medizin ist im Grunde eine Lebenshaltung, das fängt mit Ernährung an. Ingwer, Frühlingszwiebel, Knoblauch oder Datteln – viele Sachen, die in Kräutermischungen zu finden sind, sind Lebensmittel. Das kennt doch jede Familie: bei Erkältung nimmt man Ingwer als Tee mit Honig oder mit Zitrone oder Zwiebel. In Deutschland beispielsweise verwendet man häufig Kartoffelnwickel gegen Halsschmerzen. Wenn mein Körper zu heiß ist, nehme ich Lebensmittel wie Chinakohl, weil der kalt ist. Wenn ich Fleisch möchte, ist Hühnerfleisch zum Beispiel mild. Wenn mir kälter ist, nehme ich Lammfleisch zu mir, denn das ist warm.

Und das machen Sie, um gar nicht erst krank zu werden? Sie beobachten, ob Ihnen kalt oder warm ist, und wählen danach das Nahrungsmittel aus… das kennt man hier in Deutschland so gar nicht, oder?

Qi Meng:
Dazu muss ich natürlich wissen, welche Gemüse kalt, warm oder scharf sind, und für Fleisch gilt das natürlich auch. Man muss beobachten, was der Körper sagt, was man essen möchte und danach koche ich.

TCM ist das, was Sie erzählt haben: Lebensmittel und Kräutermedizin, aber dann auch Tai-Chi, Qi Gong, Akkupunktur. Wie passt das zusammen?

Qi Meng:
Im Fernsehen in China sehen wir tanzende Rentner auf den Straßen. Das ist Guang Chang Wu – Tanzen auf einem öffentlichen Platz. Das machen die Menschen, meistens Rentner, aber auch junge Menschen, als eine Art Morgengymnastik, zur Vorbeugung gegen Krankheiten. Auch Tai-Chi oder Qi Gong unterstützt die Gesundheit. Das ist das Typische und das Schöne: Es ist tief im chinesischen Volkswissen verankert, was die Leute tun müssen, um gesund zu sein.

Kann ich als Westeuropäer so etwas lernen?

Qi Meng:
Wenn man es von Bekannten beigebracht bekommt oder jemandem zuhört oder ein Buch liest.

Also üben, üben, üben…

Qi Meng:
Genau, das Wissen wird auch bei uns von Mund zu Mund weitergegeben. Bei uns erzählen die Großmütter, was gut ist und was nicht.

Frau Reutgen, Sie sind Therapeutin mit eigener Praxis für Traditionelle Chinesische Medizin. Was meinen Sie als Therapeutin, was am wichtigsten ist?

Martina Reutgen:
Ich denke, das Wichtigste ist: Im Fluss zu sein. Alles ist ständig in Wandlung und Kommunikation untereinander. Die Natur macht es uns täglich vor, jeder kennt zum Beispiel den Wandel der vier Jahreszeiten. Auch in unserem Leben gibt es keine permanente Konstanz und alles ist in ständiger Veränderung. Wir schlafen z.B. heute anders als gestern, abhängig vom Wetter oder von Erlebnissen und Begegnungen. Auch davon, was und wie wir gegessen haben und von vielen anderen uns mehr oder weniger bewussten oder auch unbewussten Faktoren. Dieses Wissen ist ein wichtiger Denkansatz der TCM – nur, wenn alles fließt, kann unser faszinierender Körper gut funktionieren. Und nur dann kann man zur vollen persönlichen Blüte reifen und das individuelle Potential entfalten, die Welt mit sich und seinem Tun bereichern.

Also einerseits geht es bei TCM um Vorbeugung, im Fluss sein, dann aber auch um Behandlung, in Fluss kommen?

Martina Reutgen:
Genau. Der menschliche Körper ist ein großartiges System. Er besteht – je nach Alter – zu 50 bis 75 Prozent aus Wasser bzw. Körperflüssigkeiten und die müssen fließen. Bewegung an frischer Luft, viel Gemüse, nicht zu warm, nicht zu kalt essen, eine gute Work-Life-Balance – das sind die vorbeugenden Maßnahmen, um gar nicht erst krank zu werden. Wenn man trotzdem erkrankt, muss geschaut werden, wo etwas nicht fließt und warum. Ist es zu trocken, zu feucht, zu heiß, zu kalt? Gibt es zu wenig Flüssigkeiten oder zu viele Emotionen? Warum stagniert es und an welcher Stelle? Hat man Antworten gefunden, setzt man Akkupunktur oder Qi-Gong, Massagen oder Kräuter ein und gibt Empfehlungen, um den Fluss wieder anzuregen.

Das heißt, dieses „im Fluss sein“ bei TCM ist gar nicht symbolhaft gemeint, sondern ganz konkret?

Martina Reutgen:
Ja. Ein altes chinesisches Sprichwort lautet: ‚Tong ze bu tong tong bu tong‘. Übersetzt bedeutet das: ‚Wenn es nicht offen ist, bzw. nicht fließt, tut es weh, wenn es offen ist, tut es nicht mehr weh.‘
Vereinfacht gesagt: Man bekommt Schmerzen, wenn etwas nicht fließt.

Warum glauben Sie, interessieren sich immer mehr Menschen in Deutschland für Traditionelle Chinesische Medizin?

Martina Reutgen:
Weil die Menschen merken, dass TCM hilft: Ohne Chemie und ohne Nebenwirkungen.

Liebe Frau Meng, liebe Frau Reutgen, vielen Dank für das Interview!