Phytotherapie | Heilen mit Pflanzen

Erfahren Sie mehr über Pflanzenheilkunde eine der ältesten Formen des Heilens und der Gesunderhaltung
Ein Interview mit dem Experten Christian Maier

„Jede Pflanze hat ihr eigenes Wesen“, Interview mit Christian Maier, Phytotherapeut

Christian Maier ist Phytotherapeut und arbeitet seit nunmehr 15 Jahren in eigener Praxis. Er begann eine dreijährige Ausbildung am Institut für Phytotherapie und erwarb sich seither weitere Expertise durch Fortbildungen.

Was ist Phytotherapie?

Christain Maier:
Phytotherapie bedeutet Heilen mit Pflanzen, aber das ist natürlich mehr als nur Tee kochen. Es gibt unterschiedliche Darreichungsformen, verschiedene Möglichkeiten, wie man das Heilpotenzial der Pflanze den Menschen erschließt. Neben dem Infus, also der klassische Teezubereitung, nutzen wir Tinkturen oder Fertigpräparate. Es gibt aber auch – ganz schulmedizinisch – Einzelpräparate bestimmter Pflanzeninhaltsstoffen.

Was ist der Unterschied zwischen Phytotherapie und anderen Formen wie Spagyrik und Aromatherapie. Hier heilt man doch auch mit Pflanzen?

Christain Maier:
Normalerweise setzen wir in der Phytotherapie den Gesamtauszug der Pflanze ein. Die Aromatherapie, welche von manchen Autoren auch als Teil der Phytotherapie gesehen wird, verwendet hingegen nur einen bestimmten Aspekt der Pflanze, und zwar die ätherischen Öle. Der Spagyrik liegt wiederum ein anderes Heilprinzip zugrunde und die Herstellung spagyrischer Arzneien beinhaltet verschiedene Verarbeitungsformen, sodass am Ende – ganz im Gegensatz zu pflanzlichen Arzneien – keine phytoaktiven Auszüge mehr enthalten sind.

Was fasziniert Sie persönlich an Phytotherapie?

Christian Maier:
Ich selbst fühle mich persönlich sehr mit der Natur und den Pflanzen verbunden und ohne die Pflanzen wären wir Menschen nichts.

Ein Aspekt, den ich an Pflanzenheilkunde besonders spannend finde – da halte ich es ein bisschen wie Sebastian Kneipp – ist die Nähe zur Ernährung. Pflanzen haben viele wunderbare Inhaltsstoffe, die wir für Heilung, aber auch für die Gesunderhaltung einsetzen können. Die Grenzen hierfür verschwimmen im therapeutischen Arbeiten. Das ist spannend und das sehe ich bei anderen Therapieformen in dieser Form nicht.

Also ist Phytotherapie verfeinerte Ernährung?

Christian Maier:
Die Entwicklungsgeschichte zwischen Pflanzen und Tieren sind eng miteinander verflochten. Immerhin sind Pflanzen die Lebensgrundlage von Tieren – und dazu zählt der Mensch wie wir ja wissen auch. Phytotherapie selbst – also Heilen mit Pflanzen – ist etwas, was uralt ist. Man hat beobachten können, dass Tiere zuweilen instinktiv bestimmte Pflanzen fressen, um Gesundheitsproblemen zu begegnen. Wir Menschen hatten mit Sicherheit auch einen direkteren Zugang zu unserer Umwelt und haben es ähnlich gehalten – daraus ist im Laufe der Jahrhunderte Volksheilkunde erwachsen. Phytotherapie entwickelt dies weiter, versucht die grundlegende Frage zu beantworten und zu systematisieren: Wie gehe ich therapeutisch mit Pflanzen um?

Somit baut Phytotherapie auf Beobachtung auf und ist eine Erfahrungsheilkunde?

Christian Maier:
Abseits der Universitätsmedizin beruhte Phytotherapie in der Tat überwiegend auf Erfahrungsheilkunde – es gab ein bestimmtes gesundheitliches Problem und die Menschen bedienten sich der einen oder der anderen Pflanze, um die Gesundheit wiederzuerlangen. Bewährtes wurde schlussendlich weitergetragen. Im Laufe der Zeit veränderte sich immer wieder das Verständnis von den Zusammenhängen von Gesundheit und Krankheit. Über eine lange Zeit galt die Humoralpathologie in Europa als Erklärungsmodell, so wie beispielsweise das Konzept der Traditionellen Chinesischen Medizin in China noch heute zum Verständnis herangezogen wird. Pflanzen wurden neu bewertet und entsprechend des Konzeptes neu angewendet – auch das konnte nur mit Erfahrungen vollzogen werden.

Heutzutage haben wir eine sehr stark evidenzbasierte Medizin. Moderne Phytotherapie fußt auf diesem Verständnis von schulmedizinischem Wissen. Sie schaut, welche Inhaltsstoffen in Pflanzen enthalten sind und erforscht die Wirkungen, wie bei chemischen Arzneimitteln beispielsweise mit Doppel-Blind-Studien. Das ergänzt die überlieferten Formen der Erfahrungsheilkunde und erklärt diese teilweise.

Das Schöne an Heilpflanzenkunde für mich: Ja, es gibt Evidenzbasiertes, also wissenschaftlich Begründetes in den Inhaltsstoffen, aber zusätzlich betten wir die Pflanzenmedizin in ein naturheilkundliches Verständnis von Gesundheit und Krankheit ein. Dabei hilft natürlich auch die Erfahrungsheilkunde bei der Auswahl der Pflanzen, auch wenn bisher keine wissenschaftlichen Erklärungen dazu bestehen.

Wie finden Sie in der Phytotherapie das passende Arzneimittel?

Christian Maier:
Ich schaue in meinen Sprechstunden, welcher Mensch sitzt vor mir. In die Rezeptur fließen dann neben den symptomatischen auch individuellen und konstitutionellen Aspekten mit ein. Der eine Patient mit Husten bekommt dann möglicherweise eine andere Rezeptur verschrieben als eine andere Patientin, die ebenfalls Husten hat. Falls zusätzlich zu aktuellen Symptomen eine weitere Grunderkrankung wie beispielsweise eine Schuppenflechte vorliegt, so würde ich auch dieses Thema mit einarbeiten. Unter Umständen fließen noch jahreszeitliche und astrologische Aspekte mit ein.

Sie hatten gesagt, dass Tiere bei Krankheit instinktiv das Kraut, die Pflanze essen, die ihnen guttut – haben wir diesen Instinkt verloren? Können wir ihn wiedererlernen?

Christian Maier:
Wenn wir in Kontakt sind mit den Pflanzen und unser Organismus oder unsere Intuition die Pflanzen kennt, dann haben wir auch die Möglichkeit, wieder auf diesen Instinkt zuzugreifen. Viele von uns sind davon abgeschnitten und haben gar keine Idee mehr davon, wie eine Pflanze schmeckt und wie sie wirkt. Das kann beispielsweise daran liegen, dass sie in der Kindheit bei Krankheit von Eltern oder Großeltern keine Tees bekommen haben, sondern irgendwelche Tabletten. Das kann man sich aber wieder holen. Es ist eine Frage der Intuition und des Instinkts.

Welche Heilpflanzen sind denn geeignet?

Christian Maier:
Die meisten Heilpflanzen sind für den Hausgebrauch gut geeignet. Intuition hilft dabei, auszuwählen und die Menge einzuschätzen. Denn es gibt eine physiologische oder natürliche Grenze, an der der Organismus sagt: mir reicht es. Ich trinke beispielsweise Kamillentee, aber irgendwann sagt mein Körper: jetzt ist gut, jetzt möchte ich nicht mehr.

Gesunderhaltung durch Ernährung – aber vieles, was Nahrungsmittel gesund macht, ist mittlerweile herausgezüchtet. Beispielsweise hat unser Essen viel an Bitterstoffen verloren. Wie bewerten Sie dies?

Christian Maier:
Dass Nahrung optimiert wurde, perfekt aussehen muss und dadurch auch ärmer an Vitaminen oder Mineralstoffen ist, sehe ich kritisch. Bei pflanzlichen Lebensmitteln wäre es sicherlich wünschenswert, mehr Wildformen zu sich zu nehmen, solche, die nicht auf Optimierung gezüchtet sind. Aber bei der Menge an Menschen, die wir nun mal sind, kommen wir gar nicht da herum, Ernährung auf diese Art und Weise sicher zu stellen.

Dennoch hat man als Verbraucher, als Verbraucherin Möglichkeiten. Wenn ich möchte, kann ich heute zu anderen Lebensmitteln greifen. Auch wenn der Chicorée heute weniger bitter ist, ist er immer noch bitter. Wenn ich das Bittere verstärken möchte, könnte ich ihn mit Radicchio mischen. Oder Löwenzahnsalat; dieser ist ebenfalls recht bitter und enthält wunderbare Stoffe. In der Türkei oder in Frankreich ist er schon lange Teil der Küchenkultur. Mittlerweile gibt es ihn bei uns auch auf Wochenmärkten oder im Bioladen. Auch wenn ein Wildsalat aus Löwenzahnblättern gewiss ein höheres Gesundheitspotenzial hat, so trägt diese Kulturform trotzdem zu einer gesunden Ernährung bei.

Warum ist Phytotherapie zeitgemäß? Warum ist sie aktuell gefragt?

Christian Maier:
Phytotherapie wurde früher viel stärker in der Familie gelebt. Das ging leider zugunsten der Schulmedizin verloren. Heute wünschen sich Menschen eine Ergänzung oder Alternative zur klassischen Medizin und suchen etwas Zusätzliches, sei es allein in Form von Aufmerksamkeit durch die Heilenden oder anderer Therapieformen. Schulmedizin und Phytotherapie schließen sich aber nicht aus. Ich denke, die Dinge können gut zusammen funktionieren. Mein Wunsch wäre es, dieses Bewusstsein in der Breite der Gesellschaft zu verankern. Schulmedizin hat ihre Bedeutung an bestimmten Gegebenheiten, aber es gibt viele Dinge, bei denen wir mit der Phytotherapie viel tiefer und viel grundlegender arbeiten können. Der Unterschied: mit Phytotherapie arbeiten wir am Funktionellen.

Bei Problemen mit der Magensäure beispielsweise geben wir kein Medikament, das die Magensäureproduktion an- oder ausschaltet. Stattdessen schauen wir, wie wir die Funktion des Magens regulieren können. Das Prinzip, mit Naturheilmitteln die Selbstheilungs- und Regulierungskräfte anzuregen, ist der große Vorteil gegenüber der Schulmedizin. Es wäre für mich wünschenswert, wenn es ein breiteres Bewusstsein in der Allgemeinbevölkerung darüber geben würde. Und wenn dann Pflanzen als Hausmittel in die Familien zurückkommen, um Zipperlein zu behandeln, anstatt schnell zu chemischen Arzneien zu greifen, dann ist schon viel gewonnen.

Ist Phytotherapie eine gute Begleitform zu konventioneller, bzw. Schulmedizin?

Christian Maier:
Ich habe viele Patientinnen und Patienten, die schulmedizinisch eingestellt sind und sich dann begleiten lassen. Natürlich versuchen wir immer, ihre Medikation zu reduzieren oder auch möglicherweise an einen Punkt zu kommen, wo sie keine Medikamente mehr brauchen. Das ist das Ziel. Es gibt dabei Dinge, die man beachten muss, wie beispielsweise Medikamenteneinnahme und die Kombination mit Pflanzen. Flohsamen oder andere Schleimstoffdrogen können beispielsweise die Resorption schulmedizinischer Arzneimittel beeinflussen. Da sollten Sie sich bei Selbstmedikation schon ein bisschen auskennen, gegebenenfalls Ihren Arzt, Ihre Ärztin fragen oder sich in der Apotheke erkundigen.

Wie gut kann ich mich als Laie in das Thema Pflanzenheilkunde einarbeiten?

Christian Maier:
Bei den klassischen „Alltagswehwehchen“ wie Erkältungen oder normaler Magenverstimmung können Sie recht unbedenklich zu allgemeinen phytotherapeutischen Standardprodukten wie beispielsweise Tees greifen. Ich freue mich, wenn Menschen sich damit beschäftigen, sich der Pflanze und deren Heilpotenzial nähern. Pflanzen, die möglicherweise mit Nebenwirkungen in Verbindung stehen, werden ohnehin in der Abgabe von der Apotheke begrenzt. Lassen Sie sich in der Apotheke Ihres Vertrauens einfach beraten.

Birgt die Selbstbehandlung mit phytotherapeutischen Arzneimitteln Gefahren?

Christian Maier:
Wichtig ist immer, bei einer Einnahme auch von Naturheilmitteln auf seinen Körper zu hören. Gefahren sehe ich dort, wo Erkrankungen schwerwiegender sind. Hierfür sollten Sie unbedingt ärztlichen oder therapeutischen Rat einholen.

Welche Bücher würden Sie empfehlen, wenn sich jemand mit dem Thema Phytotherapie beschäftigen möchte?

Christian Maier:
Standardwerke sind immer gut. Eines heißt Heilpflanzenpraxis heute von Siegfried Bäumler. Das gibt es manchmal auch in alten Auflagen und preisreduziert. Da haben Sie dann etwas Gutes für sich zu Hause.

Lieber Herr Maier, vielen Dank für das Interview!