Aromatherapie: „Der Duft muss gemocht werden“
Beatrix Queng ist Expertin für Aromatherapie in der Zieten Apotheke. Die pharmazeutisch-technische Assistentin und Heilpraktikerin beschäftigt sich seit 1990 mit diesem Teilbereich der Phytotherapie. Sie gibt Kurse zu Aromapflege, schult aber auch zu weiteren Themen wie Schwangerschaft und Geburt, Sucht, Sterbebegleitung oder Geriatrie.
Erklären Sie bitte kurz: Was ist Aromatherapie?
Beatrix Queng:
Aromatherapie gehört zur komplementären Medizin und verwendet hochkonzentrierte Pflanzenauszüge aus aromatischen Pflanzen. Sie ist ein Teilbereich der Phytotherapie. Phytotherapie arbeitet mit der Pflanze und ihren jeweiligen Inhaltsstoffen. Das ätherische Öl ist ein isolierter Pflanzenbestandteil in hochkonzentrierter Form. Stellen Sie sich einen Pfefferminztee vor, den Sie sich aufgießen. Das, was Sie riechen, sind die ätherischen Öle und damit Aromatherapie. Beim Genuss dieses Tees nehmen Sie aber eine Vielfalt an weiteren wertvollen Pflanzenbestandteilen zu sich, das ist Phytotherapie.
Wie sind Sie zum Thema Aromatherapie gekommen?
Beatrix Queng:
Ätherische Öle haben ein breites Wirkspektrum und sind bei korrektem Einsatz nebenwirkungsarm. Das findet man so bei Arzneimitteln nicht. Es ist zudem eine sehr feine und sinnliche Art zu arbeiten. Ein gut gewählter Duft löst seelische, körperliche und immunogene Reaktionen aus und kann allein auf diesem Weg Heilungsprozesse anregen. Das finde ich sehr spannend.
Wie wirkt in der Aromatherapie der Duft auf den Körper?
Beatrix Queng:
Auf der Haut, aber auch in inneren Organen befinden sich viele Duftrezeptoren, an denen ätherische Öle wirken. Duftmoleküle docken an und lösen eine Wirkkaskade aus. Über die Nase wirkt der Geruch direkt auf das limbische System. Es arbeitet mit unserer Hypophyse, dem Endokrinium und dem Immunsystem zusammen. Aufgrund bestimmter Düfte kommt es zur Ausschüttung von entsprechenden Neurotransmittern. Diese Stoffe können beispielsweise schmerzhemmend oder konzentrationsfördernd sein. Es können Stoffe sein, die hormonell wirken oder über den Parasympathikus den Darm beruhigen.
Welche Rolle können ätherische Öle künftig noch in der Medizin spielen?
Beatrix Queng:
Ätherische Öle haben ein immenses Spektrum und könnten eine ganz wichtige Perspektive für die Zukunft hinsichtlich ihrer antibakteriellen Wirkung bieten. Wir wissen alle, dass das Thema Antibiotika in der Medizin und Pharmazie immer schwieriger wird aufgrund von zunehmenden Resistenzen. An diesem Punkt könnten naturreine ätherische Öle unterstützen.
Einige Studien weisen auf ihre antibakterielle, antimykotische oder auch antivirale Wirkung hin. Ätherische Öle stören auf diversen Wegen das Wachstum der jeweiligen Erreger und erschweren zudem eine Resistenzbildung aufgrund ihrer schwankenden Zusammensetzung.
Andere Studien geben Anlass zur Hoffnung, dass ätherische Öle existierende Resistenzmechanismen von Bakterien aufbrechen könnten, wodurch der Einsatz gut verträglicher Antibiotikagruppen wieder möglich wäre.
Worauf kommt es bei der Aromatherapie besonders an?
Beatrix Queng:
Wichtig ist ein sorgsamer und vorsichtiger Umgang und die korrekte Anwendung. Wie verdünne ich die Öle, in welcher Dosierung verwende ich sie? Aber auch: welche Öle verwende ich für welche Indikation und für wen? Denn es gibt Kontraindikation bei Schwangerschaften, Hauterkrankungen oder wenn es um Kinder geht. Eine weitere Regel lautet: Keine pure Anwendung der ätherischen Öle auf Haut und Schleimhaut. Das kann Hautreizungen auslösen. Ganz wichtig: Keine Einnahme ohne ausreichende Sachkenntnis!
In der Krankenpflege, der Geriatrie oder der Sterbebegleitung ist die individuelle Duftprägung des Patienten mitentscheidend für den Erfolg. Der Duft sollte unbedingt gemocht werden.
In welchen Fällen könnte dies ein Problem sein?
Beatrix Queng:
Das ist besonders wichtig in der Sterbebegleitung oder bei sehr alten oder dementen Menschen, die nicht mehr klar filtern können. Sie sind möglicherweise Düften ausgesetzt, die unangenehme Erinnerungen oder Gefühle hervorrufen könnten. Solche Düfte erregen dann ein Unwohlgefühl, das dem Genesungsprozess nicht zuträglich ist. Wenn der Patient sich nicht mehr äußern kann, ermöglicht eine einfühlsame Patientenbeobachtung festzustellen, ob der Duft angenehm oder unangenehm erlebt wird.
Heutzutage wird ja ganz viel beduftet: Hotels, Boutiquen, Supermärkte – ist das gesund?
Beatrix Queng:
Solche Großraum-Beduftungen erfolgen häufig mit synthetischen Düften, deren Wirkung bei dauerhaftem Kontakt nicht einschätzbar ist. Duft spielt ja in vielen Prozessen eine wichtige Rolle. Wenn jedoch überall beduftet wird, verlieren wir zunehmend die Fähigkeit, zwischen verschiedenen Düften zu unterscheiden. Ich rieche manchmal am Essen und wenn es nicht gut riecht, dann esse ich es nicht. Das ist etwas noch ganz Archaisches, das wir mitbringen. Es ist schade, wenn wir das verlieren, denn die Nase ist ein wichtiges Warn-Organ.
Kann man den Anbau einer Heilpflanze mit dem Anbau von Wein vergleichen? Spielt es eine Rolle, wo sie wächst, auf welchem Boden, wann sie geerntet wird?
Beatrix Queng:
Es macht tatsächlich etwas aus, wo die Pflanze wächst. Je nach Witterungsverhältnissen, Bodenbeschaffenheit und Fressfeinden bildet die Pflanze unterschiedliche Inhaltsstoffe aus. Wenn das ätherische Öl bei der Herstellung nicht verändert wird, spricht man von naturreinen, unverfälschten oder sogenannten genuinen Ölen.
Auch Menschen wollen gut duften und benutzen Parfum. Ist das bedenklich?
Beatrix Queng:
Jungen Müttern empfehle ich nach der Geburt, dass sie nach Möglichkeit keine Parfums oder stark parfümierten Duschgele benutzen. Zu Beginn orientiert sich das Kind ja am Duft der Mutter, denn das Sehvermögen ist noch nicht voll entwickelt. Es erleichtert dem Säugling, die Mamille zu finden und eine gute Stillposition einzunehmen. Säuglinge haben deutlich mehr Sinneshaarzellen, um dies zu leisten. Parfüms oder parfümierten Duschgele enthalten zumeist synthetische Duftstoffe, oft bis zu 90 Prozent. Dies stellt eine vermeidbare Überforderung des kindlichen Sinnesorgans dar. Das Kind fühlt sich am wohlsten mit dem unverfälschten Duft der Mutter.
Welchen Vorteil für die Aromatherapie hat die wechselnde Zusammensetzung der Inhaltsstoffe bei einem genuinen Öl?
Beatrix Queng:
Die schwankende Zusammensetzung minimiert das Risiko zur Resistenzbildung von Bakterien. Ein Antibiotikum z.B. ist in seiner Struktur immer gleich, dies ermöglicht eine Anpassung der Bakterien gegenüber der Wirkung des Wirkstoffs über die sogenannte Resistenzbildung. Außerdem kommt es bei einem reinen genuinen Öl relativ selten zu Allergien. Trotzdem empfiehlt sich vor Anwendung immer ein Allergietest, denn die Neigung zu Allergien nimmt stetig zu.
Sie können selbst einen Allergietest durchführen, indem Sie einen Tropfen des gewünschten ätherischen Öls in einem Teelöffel Basisöl verdünnen und in die Ellenbeuge geben. Tritt innerhalb einer Stunde keine Rötung auf, können Sie das Öl verwenden.
Was ermöglicht Aromatherapie, was andere Therapien nicht bieten?
Beatrix Queng:
Ich sehe den Einsatz der Aromatherapie künftig vor allem im Krankenhaus, da die Aromapflege dort eine neue Form der Patientenbetreuung bietet und die Heilungschancen verbessern kann. Wenn man im Krankenhaus mit Aromapflege arbeitet, hat jeder Patient, aber auch jeder Mitarbeiter Vorteile davon. Aspekte wie eine positive Stimmung, Wohlgefühl, Zufriedenheit, Unterstützung des Immunsystems kann letztendlich auch die überlastete Pflege erleichtern.
Welche Öle gehören für Aromatherapie in die Hausapotheke?
Beatrix Queng:
Zitrusdüfte wie Orange, Mandarine, Bergamotte sind empfehlenswert. Rosengeranie ist gut für die Hautpflege geeignet. Auch Lavendel kann man in der Eigendiagnostik ohne Probleme einsetzen. Ein Holzduft wie Zeder oder die Ylang-Ylang-Blüte sind völlig unkompliziert und gut verträglich. In der Erkältungszeit eignet sich u.a. auch der Eukalyptus radiata als gutes Erkältungsöl.
Das sind nur einige Beispiele für gute Einstiegsöle, die bei richtiger Anwendung vielseitige Unterstützung bieten und für gute Laune sorgen können.